Sonntag, 17. Juli 2016

Hans und Hildegard, Rassismus und Integration, Demokratieverständnis und der ganze Rest 17.07.2016

So nennen gewisse Türken, Deutschtürken, Deutsche mit türkischen Migrationshintergrund uns Deutsche.
Und es ist nicht nett gemeint.
Ungefähr so wie wenn ein Brite uns Krauts nennt (Sauerkrautfresser).

Letzte Woche fragte ich einen jungen Mann nach seinen Migrationshintergrund. Sein Blick sagt mir schon, dass ihn das nervt, dass er immer wieder danach gefragt wird. Die Antwort war köstlich:
*Kassel!* Ich lachte laut auf und konterte: *Also doch Migrant*.
Ich war wieder in die Rassismusfalle getappt. Obwohl Rassismus das falsche Wort zu sein scheint. Man hat Denkschematas im Kopf, die sich nicht so leicht ausradieren lasse.
Ich weiß bis heute nicht ob er syrischer, türkischer, armenischer oder sonst einer Abstammung er hat, ich weiß nicht, ob er Christ, Jude, Moslem, Hindu oder sonst ein Gläubiger ist.
Es spielte auch keine Rolle und so ist es heute noch.
Mit seinem Statement und seiner angenehmen Art zu diskutieren trug er seinen Teil zu einem gelungenen Abend bei, Und er hatte mir die Selbsterkenntnis wie ein weiches Tuch um die Schulter gelegt. Auch ich habe Vorurteile und Schubladen im Kopf. Ich habe dies nie geleugnet, es ist aber noch einmal etwas anderes so vorgeführt zu werden.
Ich verneige mich mit Hochachtung.

Das ich den Einstieg über Türken, Deutschtürken und Deutsche mit türkischen Migrationshintergrund gewählt habe hat einen guten Grund. Einen erschreckenden Grund. Basierend auf den Putschversuch ( den inszenierten?) von Freitag auf Samstag in der Türkei, der niedergeschlagen wurde ( die Inszenierung wurde erfolgreich abgeschlossen?) ging es in den social medias gestern hoch her. Auf vielen Pinnwänden wurde viel geschrieben, gute Analysen, haarsträubendes und abstruses.
Über die Lage in der Türkei werde ich nichts schreiben - denn ich irre gerade von Bericht zu Bericht und komme irgendwie nicht zu einem schlüssigen Ergebnis.
Nein, um das geht es nur am Rande.

Es geht um das Verhalten mancher hier lebender Türken, Deutschtürken und Deutsche mit Migrationshintergrund. Warum schreibe ich das so?
Weil es DEN Türken nicht gibt, genauso wenig wie DEN Deutschen, DEN Italiener etc.
Gestern wurde ich mit Aussagen mancher dieser hier lebender Türken, Deutschtürken und Deutsche mit Migrationshintergrund die mich das Grausen lehrte.
Nicht, dass es nicht Aussagen von Deutschen und anderen geben würde, die mich auch das Grausen lehren würde....

Bedingungsloses Zujubeln. Erdogan sei der Held, die anderen müssten bestraft werden, Und das ist noch das harmloseste. Das macht mir keine Angst. Solche haben wir in Dresden und den *Ostgebieten* zuhauf und nicht nur dort.
Völkisch. Völkische Denkweise ist nicht nur in Deutschland beheimatet.
Und hier wird es grauselig. Jemand meinte dann auch Merkel mit Erdogan zu vergleichen.
Hier begann meine Schnappatmung, nicht weil ich eine glühende Verehrerin der Pastorentochter aus der *Zone* bin, sondern diese dreiste Gleichsetzung eines Erdo(wahn)gan, der unbequeme Oppositionspolitiker, Journalisten hinter Gitter bringt mit der Bundeskanzlerin?

Tschisas! Und ich solle mir die türkische Staatsbürgerschaft zulegen, wenn ich mit über die Geschehnisse in der Türkei mitreden wolle. Und er würde Erdogan gut finden, wir hätten alle keine Ahnung und sollten den Lügen aus der türkischen Presse nicht glauben. Aha. Also nationalistisch. Wäre es eine mündliche Diskussion gewesen hätte ich wahrscheinlich einen Schreikrampf bekommen und danach Krampfadern auf den Stimmbändern gehabt.
Meine Antwort fiel dementsprechend aus. Unter anderem, dass er weder mir noch anderen den Mund verbieten könne, auch wenn ihm das nicht passe. Gleichheit, Freiheit gelte hier nicht nur für eine ethnische Gruppe, Geschlecht oder Religionszugehörigkeit - und wenn er hier (Deutschland) leben würde und/oder sogar den deutschen Pass habe solle er sich mal dran halten und nicht einen auf dicke Hose machen.
Kurz danach war ich geblockt.
Weichei.

Viele denken so. Gestern rasten Autos mit türkischen Fahnen geschmückt hupend durch die Stadt, nachdem die Nachricht kam, der Putsch sei niedergeschlagen worden.
Mir tun die Menschen in der Türkei leid, vor allem die, die nicht mit der Regierungspartei konform gehen. Erdogan und Co, die jeden Widerstand, jeden Widerspruch niederknüppel lassen, bauen ihre Macht aus.

Gestern erwischte ich mich zum ersten mal bei folgenden Gedanken:
"Dann haut ab, Geht zu eurem Erdogan. Packt eure Koffer und kehrt heim ins Reich."
Ein Teil von mir ist heute noch über diesen Gedanken entsetzt. Der andere fürchtet sich vor diesen Erdogananhängern in Deutschland. Und die Frage wie wir mit ihnen umgehen sollen geht mir nicht mehr aus dem Kopf

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